URL:
http://www.volksstimme.de/vsm/nachrichten/sachsen_anhalt/sachsen_anhalt/?em_cnt=1508490
Landtagsdebatte zum geplanten Doppelhaushalt 2010 / 2011
Böhmer nimmt Bullerjahn nach scharfer FDP-Attacke in Schutz
Von Jens Schmidt und Michael Bock
Der Landtag hat sich gestern erstmals
mit dem Doppelhaushalt 2010 / 2011 befasst. Finanzminister Jens Bullerjahn ( SPD ) verteidigte das Zahlenwerk.
Kritik kam vor allem von der oppositionellen FDP.
Magdeburg. Bis auf den letzten Drücker hatte Bullerjahn an seiner Rede gefeilt.
Gespannte Erwartung im Parlament und wohl auch in der Familie – auf den
Zuhörerrängen saß Bullerjahns Ehefrau. Welcher Bullerjahn würde nach der
Wahlniederlage seiner Partei reden ? Der Kassenwart oder der designierte
Spitzenkandidat ? Würde er es schaffen, trotz aller Finanzzwänge so etwas wie
soziale Wärme auszustrahlen ? Marco Tullner, Finanzpolitiker der CDU-Fraktion,
gab vor der Debatte Bullerjahn die Hand zum " Guten Morgen " und
spöttelte : " Ich habe meinen Kollegen gesagt, sie sollen beim Applaus
sitzen bleiben. " Bullerjahn winkte ab : " Ich mache das sehr
sachlich. " Er sollte Recht behalten. Die 54-minütige Rede war
unaufgeregt, der Beifall danach war es auch. 27 Seiten las der Minister vor. Er
begann mit Finanzlöchern, die die Krise geschlagen hat, den Schulden und
Zwängen. Es folgten Zahlen und Prozente, die Etats der Ministerien. Ganz am
Ende öffnete er die Tür – ganz sachte – für höhere Einkommen und höhere
Bildungsausgaben ; aber nur, wenn das ohne neue Schulden zu finanzieren sei.
Der andere
Ministerpräsidenten-Anwärter, Linke-Fraktionschef Wulf Gallert, ging elanvoller
ans Werk. Sieben eng beschriebene Seiten lagen vor ihm auf dem Pult, doch er
referierte frei, wie immer laut, eindringlich, klar. Aber es war dieses Mal
kein Rundumschlag. Gallert zollte der Böhmer-Regierung Respekt, dass sie trotz
Krise viele Kürzungsvorschläge des Finanzministers eingeebnet habe. Ob
Kinderförderung, Hochschulen, Schulen und andere sogenannte Leistungsgesetze –
nichts soll angetastet werden. Zugleich betonte Gallert, Steuern müssten erhöht
werden, um die öffentlichen Ausgaben weiter finanzieren zu können. Er plädierte
dafür, im nächsten Jahr 200 Millionen Euro Schulden extra aufzunehmen : Dieses
Geld benötigten die Kommunen, deren Finanzbedarf viel zu gering angesetzt sei.
Zurzeit liegt die für 2010 geplante Neuverschuldung bei 662 Millionen Euro.
Die schärfsten Angriffe fuhr die FDP. Die Liberalen brandmarkten viele Probleme
als hausgemacht. Fraktionschef Veit Wolpert warf Bullerjahn vor, in den fetten
Jahren 2007 und 2008 kaum gespart zu haben. " Sie, Herr Finanzminister, erhöhen
die Schulden. Sie erhöhen die Steuern und Abgaben. Sie senken die
Investitionen. Sie belasten die Unternehmen – und das in der Krise. Sie tun
das, weil Sie in der Vergangenheit zu bequem waren. Und Sie tun das, weil Sie
in der Gegenwart zu Taten nicht in der Lage sind. Und Sie tun das hoffentlich
nie wieder, weil Sie dann in der Opposition sind. "
Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (
CDU ) nahm seinen Finanzminister in Schutz. Er erzählte von Bullerjahns
Vorgänger Karl-Heinz Paqué – FDP – und schaute dabei Wolpert an. " Ich
habe ja ein paar Jahre neben einem FDP-Finanzminister auf der Regierungsbank
gesessen – der musste sich damals dasselbe von der SPD anhören. "
Böhmer gab sich moderat : Er präsentierte die Probleme des Landes, wie zu hohe
Personalkosten, als Diskussionsthemen mit offenem Ausgang (" Darüber muss
man doch mal nachdenken dürfen. ). Er formulierte dieses Mal keine Sparbefehle,
wohlwissend, dass er dafür keine Mehrheit hätte, da die gebeutelte SPD für
finanzielle Einschnitte derzeit nicht zu haben ist. So verwies Böhmer darauf,
dass Sachsen-Anhalt mehr für die Verwaltung ausgibt als andere Länder ; mehr
Lehrer je Schüler beschäftigt als andere und die teuerste Kinderbetreuung
Deutschlands anbietet – um zuletzt enttäuscht zu resümieren : " Dennoch
gingen viele junge Familien dorthin, wo es Arbeit gibt, obwohl die
Kinderbetreuung dort schlechter ist. "
CDU-Fraktionschef Jürgen Scharf gab sich ungewohnt
angriffsorientiert. Dem SPD-Finanzminister sagte er : " Wir mussten Sie
2007 erst mal daran erinnern, dass man einen Haushalt auch ohne neue Schulden
machen kann. " Zur FDP : " Frau Pieper fährt jetzt durch Deutschland
und erklärt die Marktwirtschaft, dabei konnte ihr Anfang der 90 er Jahre die
Kinderbetreuung nicht teuer genug sein. " Der Linken rief er zu : "
Einfach das Geld bei den Reichen abzuholen – merken Sie nicht, Herr Gallert,
dass diese Theorie zu schlicht ist ?" Scharf hob hervor, dass für die
Kinderbetreuung mittlerweile pro Jahr 169 Millionen Euro ausgegeben würden. "
Ein Zurück zur Ganztagsbetreuung für alle, wie von der Linken gefordert, oder
ein kostenfreies letztes Jahr, wie es im CDU-Bundesprogramm steht, können wir
uns derzeit nicht leisten. "
SPD-Fraktionschefi n Katrin Budde sah das anders : " Wenn wir uns auf das
Ziel Ganztagsbetreuung verständigen, dann werden wir es auch finanzieren.
" Auf die FDP-Vorwürfe sagte sie : " Ja, wir gehen nicht an die
Leistungsgesetze heran. Dafür entschuldigen wir uns nicht, darauf sind wir
stolz. " Budde versprach, die von der Regierung abgesenkten Zuschüsse für
Beratungsstellen wieder auf 100 Prozent anzuheben - wenngleich in den nächsten
zwei Jahren über Strukturänderungen zu reden sein werde.
[ document info ]
Copyright © Volksstimme.de 2009
Dokument erstellt am 09.10.2009 um 05:57:42 Uhr
Erscheinungsdatum 09.10.2009 | Ausgabe: mdx